- psychophysiologische Grundlagen geistiger Prozesse
- psychophysiologische Grundlagen geistiger ProzesseSeit der Begründung der modernen Psychologie im 19. Jahrhundert, unter anderem durch Gustav Fechner, Wilhelm Wundt, Francis Galton und James McKeen Cattell, stützt man sich auf funktionelle Forschungsmodelle, um psychische Leistungen zu erklären. Diese werden in Einzelprozesse aufgelöst, um sie dann beobachten, erfragen oder experimentell prüfen zu können.Neben der Erforschung der psychischen Funktionen gab und gibt es zwei weitere Hauptrichtungen für eine theoretische Fundierung des Psychischen: die paradigmatische und die psychophysiologische. Erstere ist kaum über populärwissenschaftliche Analogien hinausgelangt. Die jeweils fortschrittlichste Technologie diente als Denkmuster für das Psychische. Seit dem späten Mittelalter waren das die Wasserkünste mit den bizarren Wasserspielen und erstaunlich genauen Wasseruhren. Noch Schiller verglich 1780 in seiner psychologischen Dissertation »Über den Zusammenhang der tierischen Natur des Menschen mit seiner geistigen« das Psychische mit einem Zentralwasserbecken und Röhren, die verschiedene Wasserwerke betreiben. In der Barockzeit veranschaulicht meist die Uhrentechnologie das Psychische, zumal damals eine große Mode für künstliche Menschen (Androiden) bestand, die angeblich schreiben, Schach spielen oder musizieren konnten (wahrscheinlich nur Letzteres).Seit dem 19. Jahrhundert half die Elektrotechnik, insbesondere die Telefontechnologie mit den Verbindungen herstellenden Telefonistinnen, das Psychische verständlicher zu machen. Seit den 1950er-Jahren dient der Computer mit seinen Eingabe-, Verarbeitungs- und Ausgabeeinheiten als Analogie für das Psychische. Alle diese Vergleiche näherten sich zwar schrittweise der psychischen Funktionalität, konnten sie aber nur unzureichend wiedergeben. Eine große Rolle für die Psychologie als Wissenschaft haben demgegenüber Analogien mit tierischen Leistungen, besonders dem tierischen Lernen, gespielt. Entsprechende Untersuchungen, unter anderem an Affen, Hunden und Tauben, sind eine wichtige Grundlage der behavioristischen Forschungsrichtung.Psychophysiologische ForschungIm Jahr 1824 erschien das Buch »Recherches expérimentales sur les Propiétés et les Fonctions du Système nerveux« von Pierre Flourens, mit dem die Psychophysiologie als Wissenschaft begründet wurde. Flourens, dessen Werk noch im gleichen Jahr unter dem Titel »Versuche und Untersuchungen über die Eigenschaften und Verrichtungen des Nervensystems bei Thieren mit Rückenwirbeln« in deutscher Übersetzung erschien, untersuchte Tauben und Hunde, denen er Hirnteile entfernte. Aus ihrem Verhalten nach dieser Operation folgerte er die psychischen Funktionen: »Augenscheinlich muss ein Tier, das von den unmittelbaren Folgen der mechanischen Verletzung, die mit der Wegnahme der Gehirnlappen verbunden ist, geheilt war, nach und nach alle die Kräfte wieder erhalten, die nicht wesentlich von diesen abhängen.« In seinem Resümee kommt er zu dem Ergebnis, das auch heute noch weitgehend gültig ist: »Die verschiedenen Teile des Nervensystems haben alle verschiedene Eigenschaften, besondere Verrichtungen, bestimmte Rollen. Keiner tut dem anderen Eintrag. Aber unabhängig von dieser eigentümlichen, jedem Teil ausschließlichen Wirkung gibt es auch für einen jeden Teil eine gemeinsame, das heißt eines auf die anderen alle und aller auf einen jeden.«Was Flourens die »besondere Verrichtung« nannte, die Spezialfunktion eines Hirnareals, wurde in den folgenden Jahrzehnten sehr viel genauer erforscht als die »gemeinsame Wirkung«, die Simultanfunktion aller Hirnareale. In den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts führten diese Forschungen zu detaillierten Funktionslandkarten des Gehirns. Erst seit dieser Zeit war die psychophysiologische Forschung in der Lage, auch die übergreifenden Funktionen methodisch zu erfassen. Der Psychiater Hans Berger veröffentlichte 1929 Versuchsergebnisse mit der neu entwickelten Verstärkerröhre. Während seine Tochter die Aufgabe 5 ¼ · 31/3 im Kopf rechnete, maß er mit Elektroden die elektrischen Veränderungen der Erregungswellen im Gehirn durch die Schädeldecke und fixierte sie auf einer einfachen, mit Ruß überzogenen rotierenden Trommel, auf der elektromagnetisch gesteuerte Nadeln ihre Ausschläge registrierten. Wie dieses erste Elektroencephalogramm (EEG) zeigte, unterschieden sich Frequenz und Amplitude der Wellen des tätigen deutlich vom mehr oder weniger ruhenden elektrischen Hirnstromgeschehen. Letzteres nannte Berger Alpharhythmus, Ersteres Betarhythmus. Die heutige EEG-Forschung ist ein bedeutender Teil der funktionellen Hirnuntersuchung. Der technologische Fortschritt der Apparate ermöglicht inzwischen sehr viel genauere Messungen der Wellenprofile für die verschiedensten Funktionszustände des Gehirns. Das Ausbleiben dieser Wellen ist seither als Bestätigung des Hirntods anerkannt.Während die EEG-Methode in der medizinischen Praxis seit Jahrzehnten hauptsächlich als Diagnoseinstrument für den Nachweis abnormer Hirnleistungen (zum Beispiel bei Epilepsie) dient und damit auch für die Forschung ein überreiches Maß an Ergebnissen zur Hirnaktivität geliefert hat, fehlte lange Zeit eine Methode, um das räumliche Zusammenspiel aller Wirkungssysteme der Hirnareale bei verschiedenen psychischen Leistungen genauer zu erfassen. Mit der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) und einigen verwandten Verfahren können nun auch die »gemeinsamen« Hirnleistungen (im Sinne von Flourens) registriert werden. Während das EEG die Art der Aktivität (Heftigkeit, Ablauf usw.) übermittelt, zeigt das PET den Ort der Aktivität im Gehirn an.Das körperliche Geschehen während der geistigen Tätigkeit ist nach heutigem Erkenntnisstand ungeheuer komplex. Um die mögliche Parallelität der beiden Bereiche vollständig bestimmen zu können, ist noch eine intensive Forschung nötig. Man muss sich dafür nur die Kleinstruktur des Zentralnervensystems (ZNS) vergegenwärtigen, die geschätzte 10 Trilliarden (1021) Zellen (davon 10 Prozent Nervenzellen) und eine Vernetzungsstruktur von 384 000 Kilometern Nervenbahnen (das ist die Entfernung zwischen Erde und Mond!) mit einer noch nicht abschätzbaren Menge von Übergängen von Zelle zu Zelle (bis zu 1000 Endverzweigungen mit der Ausbildung einer Synapse je Zelle) enthält, um die gewaltige Aufgabe zu erahnen, diesen »Kosmos« Gehirn buchstäblich wie ein Astronom zu »sichten«. Auf diesem Forschungsweg sind derzeit erst grobe Strukturen von größeren Arealen überschaubar und darstellbar. Im Stirnlappen sind an geistigen Leistungen unter anderem Fähigkeiten des Problemlösens, kürzer zurückliegende Gedächtnisleistungen, sprachliche Anpassungen und Fähigkeiten des Rechtschreibens nachgewiesen. Im Schläfenlappen finden unter anderem langfristige Gedächtnisleistungen, Aufnehmen und Verstehen von Sprache sowie Wiedererkennen von Gesichtern statt. Für den Scheitellappen wurden Leistungen des Kurz- und Ultrakurzzeitgedächtnisses und des Gegenstanderkennens gefunden. Ein Bereich des Hinterhauptlappens ist für die Lesefähigkeit zuständig, an der aber insgesamt mindestens fünf weitere größere Arealbereiche funktional mitbeteiligt sind. Die Aufklärung der Unterschiede zwischen beiden Hirnhälften wurde durch die Forschung an Split-Brain-Patienten, bei denen die Verbindung zwischen den Großhirnhälften unterbunden ist, stark gefördert. Tatsächlich sind vernunftgemäße und anschauliche geistige Funktionen in den beiden Hemisphären des Gehirns unterschiedlich stark repräsentiert.Hirntätigkeit und geistige LeistungFriedrich Nietzsche bezeichnete »Geist« als »Leben, das selber ins Leben schneidet«. Für viele Hirnforscher ist dieser Satz ein Trugschluss. Nicht ein immaterieller »Geist« macht sich Gedanken, sondern das Gehirn denkt. Aber kaum einer dieser Forscher würde diese Annahme für sich selber gelten lassen. »Ich kann mir absichtlich etwas Dummes, etwas unrealistisch Komisches denken, jemand kann mich sogar dazu animieren, mir einen »Kaiser der USA« vorzustellen.« Mit solchen Überlegungen haben viele Diskussionen und Kongresse das fundamentalste Problem aller psychophysiologischen Forschungen bereichert. Es gibt auch Wissenschaftler, die sich die Frage, wer da »eigentlich« in uns denkt, nie gestellt haben und allein an dem handwerklichen Teil ihrer Tätigkeit interessiert sind. J. Graham Beaumont schreibt in dem 1987 erschienenen Standardwerk »Einführung in die Neuropsychologie« zu diesem Problem: »Der Student, der sich zum ersten Mal für Neuropsychologie interessiert, sollte sich mit diesen Themen nicht allzu sehr befassen; meistens, wenn auch nicht immer, werden sie bei der neuropsychologischen Arbeit ignoriert.«Seit dem 19. Jahrhundert ist den Hirnforschern aufgefallen, dass es außer den genannten Entsprechungen von geistigen Leistungen und den Verrichtungen bestimmter Hirnareale zwar weitere Korrelationen gibt, diese aber von Mensch zu Mensch erheblich voneinander abweichen können. Da sich aber die physischen Hirnstrukturen zwischen den Individuen deutlich weniger unterscheiden, kann es nicht nur eine einzige psychophysiologische Entsprechung geben, sondern es müssen beliebig viele existieren. Diese Hypothese bestätigten Untersuchungen von Soldaten, die während der beiden Weltkriege durch Kopfschüsse verwundet wurden. Nach Zerstörungen von Hirngewebe durch eine Kugel kam es teilweise zu einer Übernahme von Leistungen durch andere Hirngebiete. Der psychophysiologische Materialismus, wonach feststehende Zellgemeinschaften durch bestimmte Hirnabschnitte Denken elektrochemisch produzieren, verlor erheblich an Glaubwürdigkeit. Je näher man an die Tätigkeit der einzelnen Nervenzellen gelangte, desto geringer wurde die Hoffnung, Denkvorgänge zu beobachten. Immer deutlicher zeigt sich, dass das Psychische (der Geist) als immaterielles Geschehen vom materiellen Sinnbereich der elektrochemischen Nervenvorgänge getrennt ist.Modelle für die Beziehung zwischen Körper und GeistEine wissenschaftliche Lösung für die Beziehung zwischen Körper und Geist schien es lange Zeit nicht zu geben, sondern nur unterschiedliche Parteien von Glaubensanhängern. Die monistische Richtung blieb bei der Vorstellung von einer fest verankerten Bindung von Körper und Geist. Dagegen ist die dualistische Richtung der Überzeugung, Körper und Geist hätten nichts miteinander zu tun, sondern nutzten lediglich für ihre gemeinsame Existenz den Aufenthaltsort des Körpers.Zunächst unbemerkt von den Fachvertretern der Psychophysiologie entwickelte sich in den letzten Jahrzehnten eine fächerübergreifende Forschungsdisziplin mit verschiedenen Spezialrichtungen, die unter dem Sammelbegriff Kybernetik zusammengefasst wird. Die in die Forschung eingedrungenen kybernetischen Überlegungen führten in vielen Bereichen zu einem grundsätzlichen Anschauungswechsel, ähnlich wie nach der Einführung der Evolutionstheorie durch Charles Darwin. Kybernetische Modelle werden heutzutage in der Technik, Wirtschaft, Biologie, Medizin oder Psychologie angewendet.Einer der Grundgedanken der Kybernetik ist es, die Kausalitätsvorstellung bei einem Vorgang in einem System zu relativieren. Nicht die aneinander gereihte direkte Beziehung von Ursache und Wirkung, der Kausalnexus, entspricht den meisten Naturvorgängen, sondern der Regel- oder Funktionskreis mit rückgekoppelten »Merkmalsträgern«. Mit anderen Worten: Die Wirklichkeit ist ein vernetztes System, das man nur als verknüpftes Geschehen begreifen kann, in das die Einzelgeschehnisse eingebettet sind. Da sich wissenschaftlich nur Einzelgegenstände untersuchen lassen, müssen bei jedem Ergebnis immer die Bedingungen, das heißt die Vernetzungen in einem Gesamtsystem berücksichtigt werden. Dazu dient das kybernetische Theoriengebäude.Die Psychokybernetik entwickelte daraus die Theorie zu einer (neben Monismus und Dualismus) dritten Form der Beziehung zwischen physischen und psychischen Ereignissen: die Triplexität, deren Bezeichnung sich auf Aristoteles zurückführen lässt: »Demnach ergibt sich für die Seele notwendig, dass sie Substanz ist im Sinne der Form eines natürlichen Körpers, der potenziell Leben besitzt. Substanz als Form aber ist Entelechie (als geistiges Prinzip), und die Seele ist also Entelechie eines Körpers von der bezeichneten Art«. Nicht das Nervengeschehen ist die »letzte Ursache« (Monismus), ebenso wenig findet ein »Darüberhinwegstreichen« des Geistes über die Hirnstrukturen (Dualismus) statt, sondern es existiert eine rückgekoppelte Beziehung zwischen physischen und psychischen Strukturen im Gehirn. Aristoteles formulierte es so: »Sich selbst vernimmt die Vernunft bei der Erfassung des Vernehmbaren,. .. und das Vernehmen ist ein Vernehmen des Vernehmens.« Diese Triplexität soll an die Stelle von Monismus und Dualismus treten. Die drei Instanzen der Triplexität waren bei Aristoteles Substanz, Form und Entelechie. In der Psychokybernetik stehen dafür Träger, Muster und Bedeutung.Die neuronale Basis der PsychokybernetikEine neuronale Rückkopplung im Nervensystem wiesen Giuseppe Moruzzi und Horace Winchell Magoun erstmalig 1949 nach. Anatomische Grundlage ist die im Stammhirn des Gehirns liegende Formatio reticularis, ein netzartiges Geflecht von Nervenzellen. Sie erhält von den verschiedenen Sinnesorganen und Hirnzentren Nervensignale und beeinflusst ihrerseits das Erregungsniveau vieler Zellen und Zentren des Zentralnervensystems. Ein wichtiger Teil der Formatio reticularis ist das aufsteigende retikuläre Aktivierungssystem (ARAS), dessen Nervenfasern mit dem Thalamus und dem Zwischenhirn verbunden sind. Es enthält zwei sich ergänzende Nervenbahnungen: spezifische, die von den Sinnesorganen kommen, und unspezifische.Die spezifischen Bahnen sind einfach aufgebaut und führen lediglich über wenige Synapsen zur Großhirnrinde, sind dafür aber ständig tätig. Die unspezifischen Bahnen verlaufen über Tausende von Synapsen, sind aber nur im bewussten Zustand aktiv. Beide können über das retikuläre System zusammengeschlossen werden. Dadurch lässt sich auch erklären, warum man durch ein Geräusch aus dem Schlaf gerissen werden kann, das man nicht bewusst gehört hat: Das Geräusch wurde registriert, weil die spezifischen Nervenbahnen auch im Schlaf tätig blieben. Ihre Alarmierung aktivierte über die von der Großhirnrinde absteigende Nervenstränge die unspezifischen Nervenbahnen. Dieser mögliche Zusammenschluss im retikulären Aktivierungssystem ist nicht die einzige Form der Rückkopplung. Bereits auf der Ebene einzelner Nervenzellen gibt es Rückkopplungen bei den Ionenströmen, die zur Weiterleitung der Aktionspotenziale führen.Die Signalverarbeitung in den Nervenzellen arbeitet mit zwei Verfahren. Der Körper einer Nervenzelle (Neuron) produziert elektrische Potenziale, die durch das Axon (Nervenfaser) bis zu den Endverzweigungen wandern, um dort an einem Spalt zu enden. Der elektrische Impuls kann nicht direkt zur nächsten Nervenzelle weitergeleitet werden. Wie aber kommt die Nachricht zur Nachbarzelle? Die Endverzweigung der einen Nervenzelle bildet mit der anderen eine Synapse aus. An der Membran der Synapse wird das elektrische Signal in ein chemisches Signal umgewandelt und auf die gegenüberliegende Nervenzelle übertragen, wo es wiederum in ein elektrisches Signal zurückverwandelt wird. Potenzialveränderungen lassen sich durch ein EEG in großen Potenzialbereichen abgreifen. Synaptische Übersprünge, die mittels PET sichtbar gemacht werden können, geben die Arbeitszustände von großen Zellgemeinschaften wieder. Vorläufig ist es allerdings nicht möglich, diese beiden neuronalen Nachrichtenverfahren durchgängig von der Zellebene bis zum Gesamtgehirn zu beobachten.Psychophysiologie des BewusstseinsDie Frage, wie sich aus den rhythmischen und figuralen Strukturen der Nervenaktivitäten im Laufe von mehreren Millionen Jahren das Bewusstsein entwickelt hat, lässt sich bisher nicht klären. Theorien, die versuchen diese Frage zu beantworten, müssen durch psychophysiologische Untersuchungen bestätigt werden.Die Grundbegriffe der Psychokybernetik: TrägerDie seit Aristoteles vertretene Triplexitätsauffassung wurde unter anderem von Raimundus Lullus, Peter Abaelardus, Adam Ferguson, Albrecht von Haller, Friedrich Schiller, Lew Wygotskij und Egon Brunswik zumindest teilweise befürwortet. Ihre Neufassung, die Psychokybernetik, verneint die konkurrierenden ebenso alten, aber leichter begreiflichen Auffassungen einer Identität von Körper und Geist (vertreten unter anderem durch Demokrit und Ernst Haeckel) beziehungsweise der Dualität von beiden (durch Platon und René Descartes). Schiller formulierte als ein Anhänger der Dreistufigkeit (Triplexität): »Es muss eine Kraft vorhanden sein, die zwischen den Geist und die Materie tritt und beide verbindet. Eine Kraft, die von der Materie verändert wird und die den Geist verändern kann. Dies wäre also eine Kraft, die einesteils geistig, andernteils materiell, ein Wesen, das einesteils durchdringlich, anderenteils undurchdringlich wäre, und lässt sich ein solches denken? — Gewiss nicht.« Trotzdem kommt er zu dem Urteil, es müsse sie (in Berufung auf Ferguson) geben: »Ich nenne sie Mittelkraft. .. Die Mittelkraft wohnet im Nerven. Denn wenn ich diesen verletze, so ist das Band zwischen Welt und Seele dahin.«In der heutigen Formulierung der Triplexität von Aristoteles (Substanz — Form — Entelechie) lautet sie: Träger — Muster — Bedeutung. Ein materieller Trägerprozess, gleichgültig ob biologisch oder technisch, bietet die Möglichkeit, Muster zu transportieren. Diese Muster können nachfolgend auf andere Träger (oft in gewandelter Form) »übertragen« werden. Die Muster sind also »mehr und anderes« als bloße Aktionsformen der Trägerprozesse, nämlich die »Mittelkraft« im Sinne Schillers oder das Verbindungsglied zwischen physischen und psychischen Ereignissen, ohne mit ihnen identisch zu sein. Werner Heisenberg schrieb 1973 über diese Vermittlerfunktion: »Wir erwarten nicht, dass etwa ein direkter Weg des Verständnisses von der Bewegung der Körper in Raum und Zeit zu den seelischen Vorgängen führen könnte, da wir auch in den exakten Naturwissenschaften gelernt haben, dass die Wirklichkeit für unser Denken zunächst in getrennte Schichten zerfällt, die erst in einem abstrakten Raum hinter den Phänomenen zusammenhängen.«Die Vermittlerfunktion der Muster ergibt sich aus der psychophysischen Merkmalsentsprechung. Beispielsweise fiel auf, dass bestimmte Rhythmusmerkmale wie die Frequenzerhöhung und die Amplitudenreduzierung sowohl bei den EEG-Wellen als auch beim Sprachrhythmus eine Erhöhung der Erregung wiedergeben. Somit lag der Schluss nahe, die Muster in ihrer Eigenschaft als »Bedeutungsträger« als den Übergang zur geistigen Kategorie anzusehen. Sie sind die »Form« bei Aristoteles oder die »Mittelkraft« bei Schiller, sowohl materiell (als neuronale Muster, Sprachmuster oder elektronisches Muster) wie immateriell, wenn man sie ausschließlich als »Medien«, das heißt als Formgebungen, betrachtet, die von einem materiellen Träger auf den nächsten übertragen werden.Die Bedeutung als dritte Stufe umfasst die Gesamtheit geistig-seelischer Werte (bei Aristoteles Entelechie genannt, bei Schiller gleichbedeutend mit Geist). Das Wort »Bedeutung« ist treffender, da es von der irrigen Auffassung abrückt, »Seelisches« sei eine Art Organ in uns. Gleichzeitig ist dieser Begriff universeller und kann die ganze Fülle der psychischen Inhalte repräsentieren. Er umfasst sowohl Wahrnehmungen wie Gedächtnis, Denken, Fühlen, Lernen, Kreativität und Leistung als auch geistige Tätigkeiten wie Problemlösen, Meditieren, Dichten und vieles andere mehr.Auch die Äußerung und Wiedergabe des Seelischen wird als »Bedeutung« auf andere Menschen übertragen. Die Verbindung der chemisch-physikalischen Vorgänge im Nervensystem mit den »Bedeutungen« geschieht über die rhythmischen und figuralen Muster, die wie bei allen technischen und biologischen Nachrichtensystemen durch die Prozesse der Musterbildung mehr oder weniger festgelegt sind. Die »Mustererkennung« als Forschungsgebiet hat das Ziel, die Übereinstimmung aller geistig-seelischen Bedeutungsinhalte mit bestimmten formalen Mustern nachzuweisen. Oder anders ausgedrückt: Sie erstellt ein Vokabular für die Entsprechung von Mustermerkmal und Bedeutungsinhalt, ähnlich wie Wörterbücher zwischen zwei Sprachen vermitteln.Rhythmische und figurale MusterspracheFür die Beziehung zwischen Mustermerkmalen der neuronalen Erregungsvorgänge und ihren Bedeutungsinhalten ergeben sich zwei Spezialbereiche von Übersetzungsfunktionen. Das nervale Geschehen weist zwei Fähigkeiten auf. Die erste ist die rhythmische Mustersprache der elektrischen Nervenimpulse, die im Axon verlaufen, und die im Gesamtgehirn als EEG-Muster durch die Modulation von Impulsamplituden und -frequenzen bestimmte neuronale Zustände darstellt. Die zweite ist die figurale Mustersprache, die verschieden auswählbare synaptische Bahnungen im PET-Bild zeigt und eine Nachrichtenverschlüsselung ermöglicht.Die Rhythmusmerkmale gelten seit langer Zeit als primäres Regelsystem für emotionale Inhalte, die figuralen Merkmale bestimmen dagegen den kognitiven Gehalt. Ähnlich wie Rhythmus und periodische Melodieführung in einem Musikstück dessen Gefühlswerte repräsentieren, dienen die elektrischen Bewegungsmuster im Zentralnervensystem als Träger zur Wiedergabe von Erregungen im weitesten Sinn.In den Figurenmustern stecken als Prinzip die bereits von Aristoteles entdeckten Assoziationsgesetze: »Immer muss, wenn das Gedächtnis arbeitet, ein Früher (an Vorstellungen) mitempfunden werden, in dem man dieses gesehen oder gehört oder gelernt hat.« Vorstellungen sind die einfachste Verbindung von Denken und Sinnestätigkeit; sie fußen im neuronalen Träger auf »zeitweiligen Verbindungen«, wie sie Iwan Pawlow als bedingte Reflexe nachgewiesen hat. Auf logischer Ebene ist die einfachste Form der Verbindung der von Aristoteles beschriebene Syllogismus. Das syllogistische Figurenmuster in seiner einfachsten Gestalt bildet die Grundlage des Denkens. Solche Figurenmuster lassen sich beliebig kompliziert gestalten. Entsprechend ist das Geistige im Hirngeschehen bei jedermann entwicklungsfähig.Bewusstsein ist ein zusammengesetztes PhänomenDie psychokybernetische Kohärenztheorie gestattet es unter anderem, die vorher nicht erklärbare Wechselwirkung zwischen Körperlichem und Psychischem in beiden Richtungen theoretisch abzuleiten. Der Anlass hierfür ist die Triplexitätstheorie (Dreiheitlichkeit), die zwischen dem Körper (neuronale Trägerprozesse) und der Psyche beziehungsweise dem Geist (seelische Funktionen) die Musterinstanz als unterscheidbares Drittes sieht. Diese vermittelt als formale Formgebung zwischen den Trägerprozessen sowie den psychischen Begebenheiten und Erlebnissen. Sie ist gegenläufig durchlässig, das heißt, psychische Wirkungen können über die Vermittlungsinstanz der Muster auf körperliche Prozesse ausstrahlen und umgekehrt. Beispielsweise kann ein Hypnotiseur durch eine getragene Sprachrhythmik körperliche Entspannung bewirken und umgekehrt durch die Beeinflussung der Atemrhythmik psychische Wirkungen erzielen. In der Psychotherapie ist diese Wechselwirkung zwischen seelischen und körperlichen Ereignissen eine Selbstverständlichkeit: Seelische Befindlichkeiten nehmen oft Einfluss auf den Körper, wie auch eine körperliche Erkrankung seelisches Befinden erheblich belasten und verändern kann.Um die Millionen Jahre währende Evolution des menschlichen Bewusstseins (Phylogenese) und die über viele Monate andauernde Entwicklung des Eigenbewusstseins im Individuum (Ontogenese) zu erklären, ist zusätzlich zu der Kohärenztheorie der Psychokybernetik die Theorie der Systemkybernetik nötig. Ausgangspunkt ist die allgemein akzeptierte Annahme, dass das Bewusstsein ein zusammengesetztes Phänomen ist. Strittig bleibt vorläufig die Aufteilung der Bewusstseinsanteile. In diesem vorbereitenden Kapitel genügt es, die unbestrittene Tatsache einer Trennung von »bewusst« (Wachbewusstsein) und »nicht-bewusst« (zum Beispiel als Traumschlaf oder als Rapport in der Hypnose) zu betrachten. Seitdem 1951 der deutsche Psychologe Hans Thomae vorschlug, Bewusstsein als »aktuelle Subjekt-Objekt-Beziehung« zu definieren, lässt sich eine psychophysiologische Entsprechung zu unspezifischen und spezifischen Nervenbahnen herstellen, wobei den unspezifischen die bewusste und den spezifischen die unbewusste Aktivität zukommt.Beim täglichen Erwachen (noch dramatischer nach Vollnarkosen) »vergegenwärtigt« sich der Mensch. Der morgendliche Selbstfindungsprozess, Primordium genannt, kann blitzschnell erfolgen, oder es kann mehrere Sekunden oder Minuten, im Extrem sogar Stunden dauern, »ehe man ganz da ist«. Was dabei geschieht, ist im Einzelnen noch nicht geklärt. Jedoch dürften sich zumindest sieben Teilvergegenwärtigungen für das volle Wachbewusstsein zusammenschließen.Psychisches ist zwar, wie die Psychophysiologie zeigt, von dem Instrument Gehirn abhängig, aber wie etwa der Geigenvirtuose ein Meisterstück auf seinem Instrument spielen kann, während andere nur stümperhafte Melodien zuwege bringen, so sind wir alle gehalten, mehr aus unserem Instrument Gehirn herauszuholen. Psychisches ist unser Eigentum an »Selbst«. Unser Denken ist kein bloßes Erzeugnis unseres Gehirns, das wie die Melodie eines Geigenautomaten mechanisch hergestellt wird, sondern wir sind die selbstverantwortlichen Schöpfer unseres Psychischen. Im besten Fall ist der Mensch ein Virtuose an einer Hirn-Stradivari, im schlechtesten Fall ein Versager an einem Massenprodukt der Geigenbauindustrie, wobei immer schwer zu sagen ist, wer Schuld ist, der Spieler oder das Instrument.Prof. Dr. Hellmuth BeneschWeiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:Gedächtnis: Informationen speichern und abrufenBenesch, Hellmuth: Enzyklopädisches Wörterbuch Klinische Psychologie und Psychotherapie. Neuausgabe Weinheim 1995.Benesch, Hellmuth: Zwischen Leib und Seele. Grundlagen der Psychokybernetik. Frankfurt am Main 1988.Birbaumer, Niels / Schmidt, Robert F.: Biologische Psychologie. Berlin u. a. 31996.Bourne, Lyle E. / Ekstrand, Bruce R.: Einführung in die Psychologie. Aus dem Amerikanischen. Eschborn 21997.Eccles, John C.: Gehirn und Seele. Erkenntnisse der Neurophysiologie. Taschenbuchausgabe München u. a. 31991.Gehirn und Bewußtsein, Einführung von Wolf Singer. Heidelberg u. a. 1994.Gehirn und Kognition, Einführung von Wolf Singer. Heidelberg 1992.Grundlagen der Psychologie, herausgegeben von Hellmuth Benesch. Aus dem Amerikanischen. Neuausgabe Weinheim 1992.Zimbardo, Philip G. / Gerrig, Richard J.: Psychologie. Aus dem Englischen. Berlin u. a. 71999.
Universal-Lexikon. 2012.